Aus unserem Tagebuch Trauerbegleitung


Ich würde Jahrtausende lang die Sterne durchwandern, in alle Formen mich kleiden, in alle Sprachen des Lebens, um dir einmal wieder zu begegnen. Aber ich denke, was sich gleich ist, findet sich bald …
Friedrich Hölderlin


Die Frau, die vor mir sitzt ist verzweifelt. Nicht nur weil ihr Mann verstorben ist, nicht nur weil sie jetzt allein im Alltag sich erst einmal zurecht finden muss, nicht nur weil die Finanzen, die Behördengänge, die Ummeldungen, das Verschicken der Benachrichtigungen an Krankenkassen, Versicherungen, Abonnements etc. sie völlig überfordern, sie hat das Gefühl, es interessiert kaum jemand, wie es ihr gerade geht.

Wenn sie zu erzählen anfängt, gibt es sofort jemanden, der seine Geschichte dagegensetzt. Fängt sie an zu weinen, fühlen sich viele zu schnellen forschen Sprüchen oder Vertröstungen herausgefordert.

„Mir hört kaum jemand zu“, ist ihr Resultat. Zusammenreißen soll sie sich, so die Meinung vieler. Das Leben muss weitergehen, so der gängige Satz. Die Kälte und Härte machen ihr obendrein zu schaffen.

Wir sind da, laden sie ein und begleiten sie, bis sie wieder Tritt gefasst hat nach einer gewissen Zeit. Erst nach einem halben Jahr etwa kommt sie regelmäßig auch in das Trauercafé. Dort gibt es Menschen, die ähnliches erlebt haben. Ein Segen für viele, sich gegenseitig zu stützen.


Der Mann ist vereinsamt seit dem Tod seiner Frau. Er mag kaum noch aus dem Haus gehen. Anrufe nimmt er wenig entgegen. Es fragen kaum Menschen nach. „Die meinen, ich wolle meine Ruhe – aber eigentlich schonen sie sich nur selbst vor der Frage, wie es mir gerade geht. Und vor allem vor meiner Reaktion, wenn ich nicht mit „Gut Danke!“ antworte.

Er kommt regelmäßig zum Gespräch und später schafft er es, zum Trauerstammtisch zu kommen. „Tut gut, wenn man zusammen ist – und Lachen tun wir da auch und das hilft. Wenigstens sind da Menschen, die es verstehen, wie sich das anfühlt“.


Die Mutter ist erstarrt. Sie kann es immer noch nicht fassen: Ihr Sohn ist tot. Viel zu schnell, viel zu früh. Kaum jemand, der sie erreicht. Da sein und aushalten. Schweigen und Zuhören. Kein Schrei nach dem Warum kann auf eine schnelle Antwort hoffen.

„Mein Sohn ist vor 25 Jahren verstorben“, sagt eine andere, „ und ich vermisse ihn noch heute. Er fehlt so sehr.“ Schmerz lässt sich nicht wegreden. Nur mit aushalten. Manchmal lindert das etwas. Aber die Vorstellung, Trauer sei dann mal auch vorbei, ist eine leider verbreitete irrige Annahme.

Sich gegenseitig erzählen, was einem selbst geholfen hat, kann helfen, weiterzuleben. Der Schmerz aber wird immer bleiben – vielleicht etwas verwandelt. Aber immer fühlbar wie eine Narbe.